Nordistik
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Gotland - die Perle der Ostsee

Prof. Wilhelm Heizmann/ Dr. Alessia Bauer


Aufgrund ihrer geographischen Lage inmitten der Ostsee hatte die Insel Gotland während des gesamten Mittelalters eine ‚Mediationsrolle’ zwischen Orient und Okzident inne. Zahlreiche archäologische Funde vorwiegend in Form von Gräbern und Grabbeigaben zeugen von einer kontinuierlichen Besiedlung der Insel seit der Steinzeit.
Vor allem die verschiedenen Typen von Gräbern – von den riesigen bronzezeitlichen Steinhügeln zu den sog. domarringar ‚Richterringe’ aus der Vendelzeit und den Schiffssetzungen der Wikingerzeit markieren eine Entwicklung und zugleich eine Kontinuität in den Grabsitten.

[Foto 1: Gräberfeld Trullhalsar mit domarring im Vordergrund]
[Foto 1: Gräberfeld Trullhalsar mit domarring im Vordergrund]

Das umfangreiche Fundmaterial dokumentiert nicht nur die Entwicklung der in Skandinavien vorherrschenden kulturellen Erscheinungen, sondern bezeugt darüber hinaus auch typisch gotländische Sonderformen. Das ist beispielsweise bei den sog. gotländischen Bildsteinen der Fall – Gedenksteine aus der Völkerwanderungszeit, die im Totenkult wurzeln. Ursprünglich übernommen aus der Mittelmeerkultur der Völkerwanderungszeit, entwickelten sich die Bildsteine Gotlands zu einer eigenständigen Tradition. In der eher schriftlosen schwedischen Kultur des Mittelalters zeugen sie von Mythen und Motiven aus der germanischen Heldensage, die sonst nur im Nordwestgermanischen (Island und Norwegen) belegt sind.

[Foto 2: gotländ. Bildstein der Periode C, 9. Jh.]
[Foto 2: gotländ. Bildstein der Periode C, 9. Jh.]

Wie sehr die Ökonomie der Insel von den weitreichenden Handelsbeziehungen profitierte, zeigen die zahlreichen Münzschätze, die dort ausgegraben wurden, ebenso wie die etwa hundert romanischen Kirchen. Diese sind oft reichlich mit aufwendig verzierten Portalen und Taufbecken sowie Kalkmalereien ausgestattet, welche den Einfluss aus der fränkisch-kontinentalen bzw. byzantinischen Kunst verraten.

[Foto 3: Detail des Kirchenportals von Lokrume]
[Foto 3: Detail des Kirchenportals von Lokrume]


In den Kirchen befinden sich zudem viele Grabsteine, die Runeninschriften tragen. Als sekundäre, antiquarische Tradition verbreitete sich im Spätmittelalter auf Gotland die Sitte, Grabinschriften mit Runen zu versehen.
Um uns den Reichtum und die Vielfalt dieser faszinierenden Kultur aus der Nähe anzusehen, sind wir – eine Gruppe von 15 Münchner Studierenden und zwei Dozenten – vom 17.-25. Mai 2008 über Stockholm nach Gotland gefahren. Die Exkursion war Bestandteil des Hauptseminars ‚Kultur und Geschichte Gotlands im Mittelalter’, in dem sowohl Aspekte der Altertumskunde als auch literarische und sprachwissenschaftliche Themen behandelt wurden. Die Organisation der Reise und die thematischen Schwerpunkte sind von den Seminarleitern festgelegt worden und wurden sowohl vor Ort als auch im Seminar vertieft.

Der straffe Exkursionsplan sah am ersten Tag den Besuch der ehemaligen Hansestadt und heutigen Inselhauptstadt Visby vor. In der Stadt, die heute Weltkulturerbe ist, ist die mittelalterliche Stadtmauer vollkommen erhalten ebenso wie die romanisch-gotische Domkirche St. Maria. Weitere acht imposante Kirchenruinen zeugen vom Wohlstand der Stadt zur Zeit der Hanse. In Visby befindet sich zudem das Museum Gotlands Fornsal, in dem die Münzschätze und vor allem eine repräsentative Auswahl der gotländischen Bildsteine aufgestellt sind.

Die restlichen Tage ging es ‚ins Feld’: Jeden Tag stand die Besichtigung von etwa acht Kirchen auf dem Programm, in denen fleißig das Lesen von Runeninschriften und das ‚Entziffern’ von ikonographischen Motiven geübt wurden. Außerdem erkundigten wir Gräberfelder, das Freilichtmuseum Bunge im Nordosten und einige Naturreservate entlang der Küste.

[Foto 4: Lesen einer Runeninschrift]
[Foto 4: Lesen einer Runeninschrift]

[Foto 5: Bildinventar eines Taufsteins]
[Foto 5: Bildinventar eines Taufsteins]

Damit die Exkursion nicht als Urlaubsreise aufgefasst wurde, haben die Teilnehmer eine Unterkunft in ‚Gefangenenzellen’ (Fängelse Vandrarhem, Visby) auf sich nehmen müssen. Das ehemalige Gefängnis der Insel wurde in eine spartanische Jugendherberge umgebaut, in der die Gruppe schon aus Platzmangel noch mehr zusammengeschweißt wurde.

Der Zeitpunkt der Reise – im Monat Mai – wurde bewusst gewählt: Die Vorsaison ist aus verschiedenen Gründen die beste Zeit, nach Süd-Skandinavien zu reisen, da Gotland bis Anfang Juni noch frei von den zahlreichen Badelustigen ist, die während des Sommers auf die Insel strömen. Zum anderen hat zu diesem Zeitpunkt das Erwachen der Natur bereits eingesetzt: Der Flieder blüht sowie die vielen Orchideenarten, die auf der Insel wild wachsen. Die Erkundung der dortigen Flora konnte sich u.a. auf die Erkenntnisse Carl von Linnés stützen, dessen Werk Gotländska resa (1741) im Seminar behandelt wurde.

[Foto 6: Orchidee St. Hans Schlüssel]
[Foto 6: Orchidee St. Hans Schlüssel]


Die Schönheit der Insel, das durchgehende freundliche und sonnige Wetter und die interessierten Teilnehmer haben dazu beigetragen, dass die Exkursion ein voller Erfolg wurde. Ein solch aufwendiges Unternehmen ist nur dank des großzügigen Beitrages verschiedener Sponsoren, u.a. der entscheidenden Förderung der Münchner Universitätsgesellschaft, möglich gewesen, wofür alle Teilnehmer sehr herzlich danken.

[Foto 7: Gruppenfoto bei einem Grabhügel]
[Foto 7: Gruppenfoto bei einem Grabhügel]



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