Nordistik
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Schweden: Umeå 2019/2020

Der Weg nach Schweden
Über 2000 Kilometer liegt Umeå von München entfernt. Da ich beschlossen hatte, aufs Fliegen zu verzichten, habe ich den weiten Weg auch wirklich als solchen wahrnehmen können – auf dem Hinweg mit Freunden und Elektroauto, auf dem Rückweg (und bei den Reisen für meinen Weihnachtsaufenthalt zuhause) in diversen Zügen und Bahnhöfen. Plant man ein paar Tage (und Übernachtungen) für die Fahrt ein, kann es sich wie Urlaub anfühlen. Fährt man durch (soweit mit der Bahn möglich), wird es wesentlich anstrengender und jede Zugverspätung bringt die Ungewissheit mit sich, ob man den Anschluss noch erreichen wird. Durch die leicht versetzten Semesterzeiten – in Schweden beginnt und endet das Semester knapp zwei Monate früher als in Deutschland – hatte ich vor dem Aufbruch nach Schweden nicht viel freie Zeit (zumal im August noch ein Blockseminar stattfand), nach meiner Rückkehr aber umso längere Semesterferien.

Unterkunft und erste Kontakte
Die Wohnungssuche übernimmt quasi das IHO (International Housing Office) der Universität. Zum Aussuchen des Zimmers werden detaillierte Wohnungspläne zur Verfügung gestellt; wenn man etwas Bestimmtes haben möchte, sollte man sich schnell entscheiden. Die meisten Zimmer für internationale Studierende gibt es im Wohngebiet Ålidhem, in dem auch ich in einem Korridor mit sechs Mitbewohnern unterkam. Die Mietkosten waren für mich mit umgerechnet knapp 300 Euro pro Monat tatsächlich günstiger als in München. In der Gemeinschaftsküche waren die meisten Küchenutensilien wie Töpfe, Pfannen, Teller und Besteck bereits vorhanden. Spätestens ab der Einstellung des Präsenzunterrichtes und sonstiger Veranstaltungen im Zuge der Coronakrise avancierte die Küche zum wichtigsten Treffpunkt und je nachdem, wer anwesend war, wurde dort Englisch, Schwedisch oder Deutsch gesprochen. Dass ich im ersten Semester vier Schweden im Korridor hatte, schien ein glücklicher Zufall zu sein, schließlich wollte ich ja mein Schwedisch verbessern. Von Ålidhem aus kann man auch zur Universität laufen, aber für Ausflüge in die Stadt oder beispielsweise zur Schiffssetzung am Mjösjön ist ein Fahrrad sehr praktisch; es war für mich bei fast jedem Wetter das wichtigste Transportmittel. Gebrauchte Fahrräder gibt es günstig, beispielsweise in den einschlägigen Facebook-Gruppen; etwas schwieriger ist der Weiterverkauf am Schluss. Bleibt man nur ein Semester in Umeå, ist es sinnvoller, ein Fahrrad zu leihen.

Universität und Kursangebot
Der erste und wichtigste Anlaufpunkt an der Universität ist das Infocenter. Eine richtige Mensa gibt es nicht, aber viele Mikrowellen, sodass Selberkochen angesagt ist. Ein schöner Aufenthaltsort ist die Universitätsbibliothek, die auch einiges an Nicht-Fachliteratur und ab und zu interessante Veranstaltungen (zum Beispiel akademisches Schreiben auf Schwedisch) anbietet. Im Humanisthuset steht sogar ein Runenstein (U 901). Auch die Willkommensmesse und Veranstaltungen diverser Studierendengruppen wie Spectrum, SpLitt oder Klimatstudenterna sind eine Empfehlung wert, weil man dabei Kontakt zu Menschen mit ähnlichen Interessen herstellen kann, Fragen gerne beantwortet werden und man zumeist noch etwas zu essen bekommt. Allgemein habe ich mich überall in Umeå willkommen gefühlt, auch weil alle versuchen, zu helfen, sogar bei einem Besuch des Gesundheitszentrums zu Corona-Zeiten.
Für internationale Studierende vorgesehen sind vor allem englischsprachige Kurse. Der deutschsprachige Kurs „Schweden im Blickpunkt“ scheint von der Beschreibung her für schwedische Studierende gedacht, die Deutsch lernen, wurde jedoch ausschließlich von Deutschen besucht. Das deutsch-schwedische Tandemprogramm kann man zusätzlich belegen; mein Tandempartner war Deutschlehrer und wir verstanden uns sehr gut. Für die Teilnahme an schwedischsprachigen Kursen sind einige E-Mails nötig; in meinem Fall klappte es hervorragend. Um auch ungewöhnliche, interessante Kurse zu finden, lohnt es sich, das Vorlesungsverzeichnis komplett durchzugehen (Viltbiologi fand ich auf der letzten Seite). Im Gegensatz zu meinen (freiwillig) sehr vollen Stundenplänen in Deutschland hatte ich ungewohnt wenige Kurse, die außerdem unterschiedlich lange liefen. Das geforderte Niveau erscheint zunächst etwas niedriger als in Deutschland (um lediglich zu bestehen, muss man sich weniger anstrengen, aber bei Interesse gibt es stets Vertiefungs-möglichkeiten) und auch die Unterschiede zwischen Bachelor- und Masterkursen fühlten sich geringer an, allerdings wurde viel Selbsterarbeitung erwartet: Selbst in nicht-geisteswissenschaftlichen Kursen wie Wildbiologie war das Lesepensum sehr ambitioniert. Die Betreuungsquote war teilweise sehr hoch (in einem Masterkurs saß ich alleine mit zwei Dozenten da), den engen Kontakt zu Dozierenden dürften Skandinavistik-Studierende aber ohnehin gewöhnt sein. Ich hatte auch im ersten Austauschsemester schon zwei Distanzkurse gewählt; leider hat man damit wenig Kontakt zu Mitstudierenden und es lohnt sich nur, wenn man die darin vermittelten Inhalte nicht anders bekommen kann. Samische Studien beispielsweise werden auch in Skandinavien nur an wenigen Universitäten angeboten und in Umeå überwiegend als Distanzunterricht. Die coronabedingten Umstellungen fielen für mich daher weniger gravierend aus, auch hemtentamen (Prüfungen zuhause) hatte ich vorher schon absolviert. Leid tat es mir um die geplanten Wildbiologie-Exkursionen, auf die ich mich sehr gefreut hatte, die aber wegen Corona abgesagt wurden. Allgemein war die Methodik in den Kursen abwechslungsreicher als ich es aus Deutschland gewöhnt war.
Von dem OLS-Sprachkursangebot war ich enttäuscht. Ich stellte die Nutzersprache auf Schwedisch um und klickte mich durch einige Lektionen, lernte aber nichts Neues, denn für Schwedisch wird nur das allergrundständigste Niveau angeboten, das mich vermutlich schon nach dem ersten Lernjahr gelangweilt hätte (bis zu Beginn meines Auslandsaufenthaltes hatte ich schon fünf Jahre lang Schwedisch gelernt, sodass mir auch die Auswahl des Landes sehr leicht fiel). Das System scheint auch darauf ausgelegt zu sein, dass man nur eine Sprache lernt, was ich schade fand, weil ich mich seit meiner Schulzeit stets mit mehreren Sprachen parallel beschäftige.

Freizeit und Jahreszeiten
Das Buddy-Programm wartet mit einem umfangreichen Angebot an Aktivitäten auf. Der Besuch auf einer Elchfarm lohnt sich definitiv; die Stadtrallye ist hilfreich zur späteren Orientierung, man sollte sich aber auf eine mehrstündige Wanderung gefasst machen. Der Nachteil des Buddy-Programms besteht darin, dass fast alles auf Englisch ist – und außerdem kommt gut die Hälfte der Austausch-studierenden in Umeå aus Deutschland. Wer schon Schwedisch kann, sein Schwedisch verbessern oder mit den Einheimischen auf Englisch reden möchte, sollte also zusätzlich bei lokalen Initiativen vorbeischauen. Das Kulturzentrum Klossen in Ålidhem beispielsweise bietet wöchentliche Spieleabende, ein offenes Bücherregal und vierteljährlich eine Pen-and-Paper-Rollenspielveranstaltung namens Grottröj. Mitten in der Stadt liegt das Kulturhaus Väven, in dem unter anderem die Stadtbibliothek, das Kvinnohistoriskt museum und das Kino Folkets bio untergebracht sind. Internationale Filme werden in Schweden generell in Originalsprache mit schwedischen Untertiteln gezeigt; in vielen Museen ist der Eintritt frei. Die typischen Sportkurse voller internationaler Studierender finden im Fitnesszentrum IKSU statt und sind während der Gesundheitswoche (Hälsa på campus) gratis. Fritidsbanken in Ålidhem bietet Sportgeräte zur kostenlosen Ausleihe, zum Beispiel Inlineskates, mit denen man auf Fahrradwegen den Nydalasjön erreichen kann. Dort lassen sich im Winter die Nordlichter beobachten; in den Waldwegen um den See herum findet man einen Abenteuerpfad (äventyrsstigen) und mit etwas Glück sogar Elche. Neben den zahlreichen Möglichkeiten zur Naturerkundung in nächster Nähe gibt es auch ungewöhnlichere Freizeitaktivitäten wie Jugger zu entdecken. Allgemein werden sehr viele Veranstaltungen über Facebook organisiert. Kulturelle Angebote auf dem Universitätsgelände, beispielsweise ein Gastauftritt von Norrlandsoperans symfoniorkester, gibt es im Rahmen der Reihe Kultur på campus.
Auf dem Freilichtmuseum Gammlia, das zum Västerbottens museum gehört, findet im Dezember ein Weihnachtsmarkt statt, den ich zusammen mit der lokalen SKA-Gruppe Uma medeltidsförening besuchte. Während der samischen Woche (Ubmejen Biejvieh) im März waren vor dem angrenzenden samischen Café Tráhppie außerdem zahme Rentiere anzutreffen.

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Worauf man sich gefasst machen sollte, ist der Winter, weil es in Umeå wirklich Winter wird und es dann auch eine monatelang bleibt. Von Oktober bis April (und nochmal kurz im Mai) gab es Schnee, die Vegetationsperiode ist stark verkürzt und während im Sommer die Sonne gefühlt gar nicht mehr untergeht, ist es in den Wintermonaten lange dunkel. Eine Schreibtischlampe ist sehr zu empfehlen (bei mir war sie bereits im Zimmer vorhanden); auch wenn ich sie spätestens im Juni überhaupt nicht mehr gebraucht habe, war sie im Winter doch umso nützlicher. Um die Vitamin-D-Versorgung braucht man sich allerdings kaum Sorgen machen, weil es in fast sämtlichen Milchprodukten enthalten ist. Warm einpacken hilft beim regelmäßigen Fahrradfahren: Skihandschuhe sind gute Alltagsbegleiter.

Niedrige Kosten und Umweltbonus
Sofern die Ansprüche nicht zu hoch sind, kann man auch in Schweden mit sehr geringen Lebenshaltungskosten auskommen; für mich lagen sie niedriger als in Deutschland. In Umeå werden zum Beispiel relativ häufig Kleidertauschtage (klädbytardag oder klädallmänning) veranstaltet. Über Umweltschutzinitiativen wurde ich auf dumpstring (Containern) aufmerksam, das in Schweden aufgrund der unterschiedlichen Rechtslage im Gegensatz zu Deutschland nicht verfolgt wird; die Supermärkte werfen nämlich große Mengen völlig genießbarer Lebensmittel in ihre Abfallcontainer, von denen man problemlos leben kann. Außerdem gibt es kleine Gemeinschaftsgärten wie die Stadsodling Ålidhem, wo man gegen Mithilfe einen Anteil an der Ernte bekommt; die Kartoffeln, bei deren Setzen ich beteiligt war, dürften im September reif sein. Allgemein ist das Umweltbewusstsein in Umeå ausgeprägt, beispielsweise war die Mülltrennung zumindest in meinem Korridor sorgfältig. Umeå hat den Flair einer bunten Studentenstadt mit Menschen aus aller Welt und einer sichtbaren Geschlechterdiversität, in der auch die verschiedenen Generationen gerne miteinander interagieren. Für mich war Umeå daher definitiv die richtige Wahl.

Saskia Klose