Nordistik
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Norwegen: Tromsø 2018/2019

Mein einjähriger Erasmus-Aufenthalt begann für mich mit der Planung der Anreise in meine Wahlstadt Tromsø. Die Stadt im nordnorwegischen Verwaltungsbezirk Troms liegt etwa 2.500 Kilometer nördlich von München, und ist am effizientesten mit dem Flugzeug zu erreichen. Wer sehr reiselustig ist, kann diese Strecke auch mit dem Auto zurücklegen, muss aber mit einer mehrtägigen Fahrt rechnen. Eine direkte Zugverbindung gibt es nicht (alternativ fährt ein Nachtzug von Stockholm nach Narvik, von dort sind es nur weitere vier Busstunden nach Tromsø). Ein Direktflug geht von Frankfurt, ansonsten gibt es mindestens einen Zwischenstopp in entweder Kopenhagen, Oslo oder Stockholm. Angekommen am Flughafen Tromsø Langnes (TOS) werden die Zimmerschlüssel von freiwilligen Helfern der Universität überreicht, falls man sich um einen Wohnheimplatz beim dortigen Studentenwerk Samskipsnaden beworben und diesen auch erhalten hat. Eine überschaubare Auswahl von Buslinien bringt einen in jeden Teil der Insel und somit auch nahe zu jedem Wohnheim.

Mein Wohnheim Ørndalen ist mit der Linie 42 vom Flughafen bequem ohne Umsteigen zu erreichen gewesen. Gelegen ist dieses Wohnheim im Nordwesten der Insel, nicht weit von der Nordspitze entfernt. Anders als die meisten Studentenwohnheime ist Ørndalen eine beschauliche Siedlung bestehend aus Häusern, in denen man mit drei bis sechs anderen Studenten zusammenwohnt und sich eine Küche und bis zu zwei Bäder teilt. Die Zimmer sind ausreichend groß und mit einem Bett, Tisch, Stuhl, Regal, Sessel, Schrank und einer nachttischartigen Ablage ausgestattet. Bettdecke und
-bezüge müssen selbst mitgebracht werden. Die Küchen sind je nach Haus entweder überraschend modern oder überraschend altmodisch, was Herd und Backofen betrifft. Ein jeder hat einen gekennzeichneten Platz in Kühlschränken, Hängeschränken und Schubladen, der meiner Meinung nach gerade so nicht zu wenig ist. Ein spezielles Wäschehaus in der Siedlung enthält die Waschküche mit Waschmaschinen und

Trocknern, den Gruppenraum und eine Sauna. Die Waschmaschinen können in einem Online-Portal gebucht und gegen ein geringes Entgelt genutzt werden, die Trockner sind kostenlos. Der Gruppenraum kann für private Veranstaltungen kostenlos reserviert werden und die Sauna kann ebenfalls kostenlos 24/7 reserviert und genutzt werden. Der nächste Supermarkt ist etwa zehn Gehminuten entfernt oder kann mit einer der beiden von der Wohnsiedlung abgehenden Buslinien erreicht werden. Mit der Linie 42 erreicht man das Stadtzentrum in etwa 30, den Flughafen in etwa 40 und die östlich gelegene Nachbarinsel Kvaløya mit Endstation im Örtchen Eidkjosen in etwa 50 Minuten. Mit Linie 20 gelangt man innerhalb von zehn Minuten zur Universität, innerhalb von 25 Minuten zum Stadtzentrum und innerhalb von 30 Minuten zum Festland und endet im Stadtteil Kroken, wo im Winter die Möglichkeit besteht auf einer befestigten Piste Ski zu fahren.

Von Ørndalen aus führen mehrere idyllische Wege durch die Natur über den Rücken der Insel, so kommt man beispielsweise zur Nordspitze, zu Varden, dem höchsten Punkt der Insel, oder zur Universität. Die Laufzeit zu letztgenanntem Ziel beträgt im Sommer (d. h. ohne Schnee) etwa 30 Minuten und ist anstelle des Busses sehr zu empfehlen. Sobald ausreichend Schnee liegt verwandeln sich die Wege in Langlaufloipen und so kann jeder Punkt der Insel inklusive der Universität auf Skiern erreicht werden, was insbesondere die Einheimischen gerne nutzen.

Die Universitetet i Tromsø – Norges arktiske universitet (UiT) ist nicht nur die drittgrößte Universität Norwegens, sondern auch die nördlichste der Welt und Studienplatz von etwa 15.000 Studierenden, viele davon ausländische. So kamen etwa mit mir im August 2018 knapp 700 neue Erasmus’ler an. Das Bewerbungsverfahren verlief seitens der UiT völlig einfach und entspannt, ebenso wie der Einschreibeprozess. Die Norweger sind in dieser Hinsicht etwas gelassener und die dortige Erasmus-Koordinatorin sehr freundlich und unglaublich hilfsbereit und verständnisvoll.
In den ersten Tagen fand eine Orientierungswoche mit vielen Einführungs- und Informationsveranstaltungen statt, die mich stark an jene aus meinem ersten Semester an der LMU erinnerte, jedoch mit Informationen über die norwegische Kultur und Rechtslage versetzt, zum Beispiel was den öffentlichen Konsum von Alkohol angeht. Zudem machten wir einen gemeinsamen Kennenlern-Ausflug in die Berge rund um Tromsø. Die UiT liegt etwas außerhalb des Stadtzentrums und der Campus ist daher

sehr zentralisiert. Die Gebäude und Bibliotheken der humanistischen Fakultät, der ich als Skandinavist angehörte, lagen unmittelbar im Zentrum des Ganzen. Technisch ist die Universität auf dem absolut neuesten Stand, was zwar einen Norweger nicht überrascht, einen LMU’ler dafür umso mehr.
Mit den von mir im Vorfeld gewählten Kursen war ich mehr als zufrieden und würde mich vermutlich wieder so entscheiden, wenn ich müsste. Zum Angebot der englischsprachigen Kurse kann ich an dieser Stelle allerdings leider nichts sagen; ich hatte bei der Kursauswahl darauf geachtet, solche mit Unterrichtssprache Norwegisch zu wählen, um an meinen Sprachfertigkeiten zu arbeiten.

Die Stadt Tromsø ist mit ihren etwa 75.000 Einwohnern für deutsche Verhältnisse zwar keine große Stadt, überzeugt aber mit ihrem Flair. Gemütliche Cafés und Bars enttäuschen bei den gelegentlichen Abenden in der Stadt (Ausgehen ist in Norwegen sehr teuer!) definitiv nicht. Wer gerne und oft das Nachtleben genießt, muss in Tromsø mit der Studierendengemeinschaft Driv Vorlieb nehmen, bei der ab und zu Konzerte oder Karaoke-Abende stattfinden. Wer Nachtclubs oder Diskos sucht, tut dies allerdings vergebens. Die Institution Tvibit bietet jungen Menschen bis 30 die Möglichkeit, sich finanziert von der Stadt medial sowie handwerklich auszutoben. Mehrere kostenfreie Angebote wie die Fotogruppe, die Zeichengruppe, Cosplay- oder Tanz-Workshops, die 3D-Druckerwerkstatt, das Musik- und Tonstudio oder verschiedene Spieleabende helfen (neben den Veranstaltungen der Universität) Anschluss zu finden und Freundschaften zu schließen.

Das Leben in Norwegen ist grundsätzlich teurer als in Deutschland, was sich in der Miete und generell in den Preisen niederschlägt. Für meine zwölf Quadratmeter habe ich 3.900 norwegische Kronen (ca. 400 Euro) bezahlt, für ein Glas Bier in der Stadt zahlt man gut und gerne schnell einmal ca. 10 Euro. Auch an der Supermarktkasse wird man die Kosten bemerken. Ich empfehle besonders auf Sonderangebote zu achten und mit Apps wie Too Good To Go Ausschau nach günstigen Gelegenheiten zu halten. Die Norweger sind große Freunde der Kartenzahlung, Barzahlung ist nicht überall möglich! Zwar wurde meine deutsche EC-Karte in den meisten Fällen akzeptiert, eine Kreditkarte ist jedoch trotzdem unabdingbar für viele Zahlungen (wie etwa das Aufladen des Kontos für die Waschmaschinen)!

Wer auf Outdoor-Aktivitäten steht, ist in Tromsø gut aufgehoben. Neben den Skipisten und Wanderwegen auf der Insel selbst gibt es unzählige Möglichkeiten, Nordnorwegen zu erforschen, sei es auf dem Festland, der Nachbarinsel Kvaløya oder auf dem Wasser. Die Berge in der Gegend laden sowohl im Sommer als auch im Winter mit unzähligen Pfaden und Gipfeln zum Wandern ein. Die meiste Zeit des Jahres liegt allerdings Schnee (von Mitte November bis Anfang Mai), was die Anzahl der Aktivitäten tatsächlich aber erweitert. Es besteht die Möglichkeit zum, wie bereits gesagt, Ski- oder Snowboardfahren, Schneeschuhwandern oder auch zu Dingen wie Hundeschlitten oder Schneemobil fahren oder Eisfischen.

Tromsø liegt etwa 300 Kilometer nördlich des Polarkreises, was bedeutet, dass die Sonne von Mitte November bis Mitte Januar nicht auf- und von Mitte Mai bis Ende Juli nicht untergeht. Dies war einer der Gründe für die Wahl meines Studienplatzes, da ich beides, Polarnacht und Polartag, einmal erleben wollte. Viele Bedenken von Familie und Freunden zur Polarnacht bestätigten sich als grundlos, meiner Erfahrung nach gewöhnt man sich nach einer ein- bis zweiwöchigen Umstellungsphase sehr schnell an die konstante Dunkelheit. Ich habe auf zusätzliches Vitamin D und den Besuch im Sonnencafé (morgendliches Café an der Uni mit UV-Lampen) verzichtet und bin trotzdem problemlos durch die lange Nacht gekommen. Der im Gegenzug von den meisten lang ersehnte Polartag kam schneller als gedacht und brachte, anders als die Polarnacht, das Problem der Schlaflosigkeit mit sich. Die schweren Vorhänge in den Zimmern helfen zwar gegen die ständige Helligkeit, so dass das Einschlafen kein Problem ist, allerdings bemerkte ich, dass ich es schwierig fand, überhaupt erst ins Bett zu gehen. Trotz allem war beides eine fantastische Erfahrung!

Das Klima ist dank des Golfstroms sehr mild und bewegt sich erfahrungsgemäß zwischen minus und plus zwanzig Grad (man bedenke die arktischen Lage), wobei das die Extreme sind und ich eher Temperaturen von um minus zehn Grad im Winter bis plus fünfzehn Grad im Sommer erlebt habe. Als Küstenregion bleibt die Gegend allerdings von vielen Niederschlägen nicht verschont, und der allgegenwärtige Wind kühlt die Temperaturen gefühlsmäßig immer um ein paar Grad ab. Das Wetter an sich ist sehr unbeständig und kann sich mehrmals täglich innerhalb von Minuten ändern, dem Wetterbericht sollte man nicht mehr als ein bis zwei Tage (wenn überhaupt) in die Zukunft vertrauen.

Benedikt Jahning