Nordistik
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Balladenwelten. Untersuchungen zur transmedialen Rezeption der mittelalterlichen Balladen in der skandinavischen Moderne.

Projektleitung: Prof. Dr. Annegret Heitmann

Projektmitarbeiter: Philipp Martin, M.A.

Agnete_og_Havmanden

Die skandinavischen Volksballaden sind nicht nur ein hervorragendes Zeugnis vergangener Kultur und Überlieferung, sondern bieten der kulturellen Imagination im Skandinavien der Moderne bis ins 21. Jahrhundert hinein ein reiches Reservoir, aus dem motivische, thematische, formale und mediale Anregungen geschöpft werden. Erstaunlich ist vor allem, dass die »Folkeviser« nicht nur rege tradiert sowie in literarischen Texten rezipiert werden, sondern dass die in ihnen angelegte Performativität offenbar ein Potential für inter- und transmediale Aktualisierungen bereitstellt. Diese Rezeptionsstränge in Text, Musik, Tanz, Theater und Film sollen, fundiert durch einen theoretischen Intermedialitäts-Ansatz, in dem vorliegenden Projekt erstmalig ermittelt, analysiert und im Verhältnis zu ihren Prätexten dargestellt werden. Besonderer Wert wird dabei auf die Frage gelegt, welche spezifischen Charakteristika zu bestimmten Zeiten in der Kultur der Moderne aktualisiert werden und welche transmedialen Prozesse durchlaufen werden. (Katarina Yngborn, Annegret Heitmann)

Vilhelm Kyhn, Agnete og Havmanden (ca. 1862)

Balladenwelten – einige Beispiele

Dass die Gattung der Ballade für das kulturelle Bewusstsein in Skandinavien eine besondere Bedeutung hat, lässt sich an ihrer anhaltenden künstlerischen Präsenz in den unterschiedlichsten medialen Umsetzungen bis in die heutige Zeit ablesen. Im öffentlichen Raum ist sie als Skulptur sichtbar, wie z.B. die viel diskutierte Unterwasser-Skulpturengruppe von Suste Bonnén im Kopenhagener Slotsholmens Kanal (1992) zeigt. Auf die Figur der Agnete, die wohl bekannteste Verkörperung des balladentypischen Motivs des Kontaktes mit dem Unheimlichen, der Dämonie, treffen wir auch in einer Skulpturengruppe am Rathaus von Aarhus.

Das Setting der Balladen und ihr Milieu, charakteristische Motive wie Wassermänner, Elfen und Mensch-Tier-Metamorphosen, aber auch Erzählstrukturen, die typische Balladensprache, Strophenform und Refrain sind bis in die heutige Zeit bekannt, nicht zuletzt, weil sie in eine Vielzahl kanonisierter literarischer Texte transponiert wurden – in Dramen von Ibsen, Strindberg und Heiberg, in Gedichte von Oehlenschläger, Atterbom, Karlfeldt und Levertin oder Erzähltexte von H.C. Andersen, Selma Lagerlöf und William Heinesen. Die literarische Tradierung schließt philosophische Reflexion ein (bei Søren Kierkegaard oder Villy Sørensen) und setzt sich fort bis in die Werke gegenwärtiger Autoren und Autorinnen wie Kerstin Ekman oder Katarina Frostenson.

Kanonisiert sind auch klassische musikalische Bearbeitungen durch Edvard Grieg, J.P.E. Hartmann oder Niels W. Gade (etwa dessen Vertonung von „Elverskud“, opus 30, 1854).

Doch über diese bekannten künstlerischen Bearbeitungen hinaus wirken die Balladenstoffe, -motive und -formen bis heute auch in die Bildkunst, den Film, die Musik, den Tanz und die Populärkultur hinein. Sei es Ingmar Bergmans Film „Jungfrukällan“ (1960) oder die schwedische Musikgruppe „Triakel“, sei es die reichhaltige symbolistische Bildtradition von Agnes Slott-Møller bis zu Bror Hjorth oder aber Heavy Metal-Adaptionen bei „Týr“ oder Pagan Folk-Adaptionen bei „Valravn‘‘ – sie alle benutzen und inszenieren Bezüge auf die Tradition der Balladen. Dabei – so ist die projektleitende These – gewinnen sie ihr ästhetisches Potential aus der performativen Qualität und der inhärenten Intermedialität der Prätexte, die bereits selbst Elemente von Sprache, Musik, Tanz und Bildlichkeit in sich vereinen. Eine besondere Herausforderung stellt die balladeske ‚Denklogik‘ dar, die z.B. rational nicht Fassbares, ja Dämonisches – wie die Anziehungskraft des Meermanns auf Agnete – in Bilder, Worte, Figuren und Handlungsgänge zu fassen erlaubt. Das Projekt will u.a. untersuchen, zu welchen Zeiten der Moderne die Balladen in besonderem Maße ihre Wirkung entfalten konnten und welche inter- und transmedialen Prozesse dabei durchlaufen werden.

Wenn es auch in dem vorliegenden Projekt um eine kreative Rezeption der zunächst im Mittelalter entstandenen Gattung geht, arbeiten wir doch mit einer klar umrissenen Ausgangsdefinition.

Hier finden Sie grundlegende Literatur zum Thema Balladen und Balladenrezeption.

Am 30. Januar bis 1. Februar 2015 fand in München ein internationales Symposium zum Thema des Projekts statt. Hier finden Sie das Programm.

Das Projekt kooperiert mit dem Kieler DFG-Projekt Die skandinavische Ballade im Kontext hoch- und spätmittelalterlicher Frömmigkeitsmedien.