Nordistik
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Habilitationsprojekt Patrick Ledderose

Poetik der Masse – Die Menschenmenge in der skandinavischen Literatur (ca. 1880 – 1945)

Die Erfahrungsform der Menschenmenge als Masse prägt im ausgehenden 19. und angehenden 20. Jahrhundert die Diskurslandschaft in Europa entscheidend mit. Die kapitalistische und industrielle Verstädterung führt zu gewaltigen Bevölkerungsströmen und gesellschaftlichen Umwälzungen, die alte Ordnungsgefüge ins Wanken bringen. Als dunkle Seite des Bürgertums wird die Masse (der Ungebildeten/der Arbeiter/des Prekariats) auch in den skandinavischen Ländern bald mit all jenen Eigenschaften beladen, die in der zivilisierten Oberschicht verpönt sind. Sie wird negativ idealisiert. Mit den ihr vor allem von Seiten der Massenpsychologie (Le Bon/Freud) zugeschriebenen Attributen wie Impulsivität, Wildheit, Irrationalität etc. wird sie nicht nur zur Herausforderung für eine stabile Gesellschaft, sondern auch zu einem mit traditionellen literarischen Mitteln nur schwer fassbaren Gegenstand. Sie wird zum erzählerischen Problem.
Da die Masse sich erst in der Imagination eines Gegenübers manifestiert, möchte das Projekt mit Hilfe von Begriffspaaren wie z.B. „Masse und Elite“, „Masse und Klasse“ oder „Masse und Faschismus“, die Veränderungen und Verschiebungen im Masse-Diskurs in Skandinavien untersuchen und dabei zugleich nach den ästhetischen und poetologischen Konsequenzen fragen, die das Schreiben über die jeweiligen Massen mit sich bringt. Dabei könnten u.a. kapitalismuskritische Romane wie Alexander Kiellands Jacob, Großstadtromane wie Herman Bangs Stuk, klassische Kollektivromane der (schwedischen) Arbeiterliteratur oder der parabelhafte Roman Kimen (dt. Nachtwache) von Tarjei Vesaas im Zentrum der Untersuchung stehen.